„Kein Fortschritt ohne Menschlichkeit“ | Jahresschlussandacht im Augsburger Dom

Mit Neugier und Spannung blickt Bischof Dr. Bertram Meier auf die Politik der neuen Bundesregierung, die ihr Programm unter das Motto „Mehr Fortschritt wagen“ gestellt hat. Neben dem technischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Fortschritt fehle ihm die moralische Perspektive auf der Agenda. „Aller Fortschritt nützt nichts, wenn dabei der Mensch auf der Strecke bleibt: Nichts zum Lebensschutz – weder im Koalitionsvertrag noch in der Regierungserklärung“, sprach Bischof Bertram an diesem Silvestertag im Hohen Dom über seine Sorge um die Zukunft unserer Gesellschaft.

Jahresschlussandacht 2021 Predigt Von Bischof Bertram Foto Nicolas Schnall Pba
Foto: Nicolas Schnall

Dabei blieb der Bischof in seiner Ansprache während der Jahresschlussandacht aber nicht stehen, sondern ermutigte dazu, sich als Christ nicht wegzuducken: „Tun wir alles, dass der Mensch nicht vogelfrei wird, sondern geschützt bleibt, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod“. Wir dürften das Lebensrecht vor allem der Schwachen, Kleinen und Kranken nicht opfern auf dem Altar der Selbstbestimmung. Es käme einem „Selbstmissverständnis“ der Kirche gleich, wenn sie sich daran beteiligen würde, so Bischof Bertram. Wer mehr Fortschritt wagt, dürfe sich schon die Frage stellen, ob er nicht auch mehr Glauben wagen sollte. „Dabei geht es nicht nur um Rechtgläubigkeit, sondern auch und vor allem um Glaubwürdigkeit“, appellierte er an alle Christen, dies trotz zahlenmäßigen Schrumpfens als Chance zu begreifen und gemeinsam als „kreative Minderheit“ Kirche wieder mehr Strahl- und Anziehungskraft zu entwickeln.

Um hierfür geistliche Perspektiven zu entwickeln lud der Bischof die Gottesdienstbesucher zu einer Zeitreise in das Jahr 1521 ein, 500 Jahre zurück in der Menschheitsgeschichte. Denn er ist überzeugt: „Der Blick ins Gestern leuchtet uns den Weg ins Morgen.“ Doch was könne uns dieses Jahr voller bewegender und prägender Ereignisse und Personen ein halbes Jahrtausend später heute lehren?

Der Reichstag zu Worms, der die konfessionelle Spaltung eher manifestierte als versöhnte. Ein junger baskischer Ritter aus Loyola, der sich entschloss Seelsorger zu werden und den Jesuitenorden gründete, der die damals überfälligen geistlichen Reformen maßgeblich mitgestaltete. Der Geburtstag des späteren Jesuiten Petrus Canisius, der später als Augsburger Domprediger zwar „kein rhetorisches Kraftwerk, aber ein spirituelles Bergwerk“ gewesen sei, das kostbare Schätze barg. Und die Weltumsegelung des Ferdinand Magellan, die als Globalisierungsbeschleuniger mitverantwortlich dafür war, dass „die Menschheit heute multiethnisch, multikulturell und multireligiös tickt“.

Auch wenn wir heute noch weit davon entfernt seien, in der Einen Welt Ideen wie Menschenwürde, Toleranz und Gleichberechtigung umzusetzen, hätten die Fugger mit ihren Stiftungen schon damals wertvolle Impulse gesetzt, die bis heute Vorbildcharakter haben, wie die 1521 errichtete Fuggerei als „sozial-caritatives Pilotprojekt auschristlichem Geist“. Mit Blick auf die getrennten christlichen Konfessionen hat Bischof Bertram – 500 Jahre nach der Spaltung – die Hoffnung, dass sich eine neue Gelegenheit eröffnet, die Ökumene voranzutreiben: „Wie sich im Namen Gottes die Fronten vor 500 Jahren verhärteten, so wünsche ich mir, dass wir in Gottes Namen ökumenisch endlich weiterkommen. Ich träume von Augsburg als Schrittmacherin für die Einheit der Christen!“ Die Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Confessio Augustana im Jahr 2030 könnten ein solcher Impuls sein.

Zudem nahm der Bischof die Steilvorlage des heiligen Ignatius von Loyola und seiner Ordensbrüder auf und mahnte, dass es mehr denn je eine geistliche Erneuerung der Kirche brauche. Wer nur auf Strukturen setze, greife zu kurz. „Gehen wir in die Schule der Spiritualität! Lernen wir unsere Zeit und die Ereignisse, denen wir uns stellen müssen, im Licht des Heiligen Geistes deuten und die nötigen Schlüsse daraus ziehen.“ In der Christusbeziehung habe das Geheimnis von Petrus Canisius Ausstrahlung gelegen. „Mühen auch wir uns wieder mehr darum, Freundinnen und Freunde Jesu zu werden!“, so Bischof Bertram.  

Dies schließe für ihn auch ein, Haltung zu zeigen aus christlicher Perspektive und Verantwortung in einer Gesellschaft zu übernehmen, in der Sündenböcke gesucht und gefunden würden, verwies Bischof Bertram auf Verschwörungstheorien und wieder aufkeimenden Antisemitismus: „Gehen Sie Fake-News und sogenannten alternativen Fakten nicht auf den Leim! Passen Sie auf, wem Sie nachlaufen! Prüfen Sie, wo Sie mitlaufen! Distanzieren Sie sich von Leuten, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung unterlaufen! Wir dürfen mühsam Errungenes nicht aufs Spiel setzen.“

Bei seiner Ansprache wendete der Bischof sich auch an alle, die sich Jahr für Jahr vielerorts in der Kirche engagieren und diese dadurch aktiv mitgestalten: „Ich danke den Ehrenamtlichen und Hauptberuflichen, die das kirchliche Leben im Bistum garantieren und inspirieren, vor allem jenen Frauen und Männern, die Tag und Nacht bei den Kranken sind und dabei weniger an sich selbst, sondern an deren Genesung und Heilung denken. Danke dem Personal in unseren Alten- und Pflegeheimen sowie auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. Das ist oft Schwerstarbeit – psychisch und physisch.“

Am Ende dieser festlichen Jahresschlussfeier, an der auch die Weihbischöfe Florian Wörner und Josef Grünwald sowie Mitglieder des Augsburger Domkapitels teilnahmen, stand das traditionelle „Te Deum“. Domchor und Domorchester unter der Leitung von Domkapellmeister Stefan Steinemann sorgten heuer mit Wolfgang Amadeus Mozarts Werk gemeinsam mit Domorganistin Claudia Waßner für die musikalische Krönung des Jahres im Hohen Dom.

pba