Heilende Kraft und „krippaler Infekt“: In seinem weihnachtlichen Gruß rückt Bischof Dr. Bertram Meier die Auswirkungen einer lebendigen Feier in den Mittelpunkt. Diese solle eine große Freude in unserem Leben auslösen. Als Christen seien wir aufgerufen, die Freude des Glaubens auch im Alltag zu leben. Durch die gemeinsame Feier böte sich auch für die Kirche wieder die Möglichkeit, sich neu in Bewegung zu setzen und der Weihnachtsbotschaft „Hand und Fuß“ zu geben.
Wir dürfen aufatmen: Das Schlimmste an Corona scheint überstanden. Nun greift das Influenza–Virus um sich. Und Kindern droht das RS Virus. Haben Sie sich eigentlich gegen Grippe impfen lassen? Oder hat Sie ein grippaler Infekt schon erwischt? Hoffentlich bleiben Sie verschont oder alles geht wenigstens glimpflich ab. Zugleich wünsche ich Ihnen einen anderen krippalen Infekt, nicht mit weichem „g“ geschrieben, sondern mit hartem „k“. Ich meine den krippalen Infekt, der von Bethlehem kommt, von der Krippe im Stall. Die Krippe
ist keine Krankheit, sondern Medizin.
Wie lautet der Befund? Der krippale Infekt fängt an, indem er das kuschelige Wohnzimmer verlässt. Jesus verzichtet auf Palast und Pension. Er nistet sich ein in einem Stall. Die Tür quietscht, die Fenster sind undicht, es zieht: das Richtige für eine Erkältung. Doch es gibt noch eine andere Kälte. Uns friert, obwohl eingeheizt ist. Ochs und Esel waren die Heizkörper, die dem Stall die Wärme gaben. Manchmal sind es ganz einfache Menschen, die mir Wärme und Geborgenheit schenken: Menschen, die in den Augen vieler als Ochsen und
Esel gelten.
Der krippale Infekt betrifft auch die, die die Nase gestrichen voll haben, die verschnupft sind angesichts der Härte, die unsere Ellbogengesellschaft prägt. Sie haben einen dicken Hals wegen mancher Worte, die ihnen im Halse stecken blieben, und der Unverschämtheit im Ton, der einem die Sprache verschlagen kann. Die Pandemie hat einiges verschärft. Von der Krippe kommt Linderung und Heilung. Denn das kleine Kind zeigt die wehrlose Liebe Gottes: So sehr hat Gott die Welt mit ihren allzu menschlichen Seiten geliebt, dass er seinen einzigen Sohn, sein bestes Stück, seinen Schatz aufs Spiel setzt. Oft geht der krippale Infekt mit Fieber einher. Erst erschrecken die Hirten, dann fürchten sie sich, bis sie die Weihnachtsfreude packt. Ihre Hirne laufen heiß, die Herzen fiebern. Hirten greifen die Kunde der Engel auf; sie werden
„Wir stehen im Gegenwind“ | Die Weihnachtsansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Botschafter des Friedens. Die Diagnose lautet: Weihnachtsfieber – nicht nur bei Glühwein und Verdauungsschnaps nach fetter Gans und Marzipanstollen, sondern begeistert vom Paukenschlag, den Gott in der Weltgeschichte gesetzt hat: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14).
Noch ein Symptom kennt der krippale Infekt: Gliederschmerzen. Es zieht und zerrt in Armen und Beinen. Weihnachten macht Beine. Nicht nur Hirten aus der Nachbarschaft, sondern Menschen aus weiter Ferne reisen an, um die Krippe zu besuchen. Bis heute braucht Jesus Leute, die sich von der Weihnachtsbotschaft in Bewegung setzen lassen, um ihr Hand und Fuß zu geben. Das geht nicht ohne Gliederschmerzen und Muskelkater? Aber dieser Infekt ist anders als Rheuma oder Gicht; er ist heilsam. Er zeigt, dass wir Christen nicht in Filzpantoffeln auf Plüschsesseln sitzen, sondern mitten durchs Leben gehen.
Daher mein Wunsch: Lassen Sie sich anstecken von der Weihnachtsfreude! Die „neue Normalität“ nach Corona weiß um den krippalen Infekt, vor dem wir uns nicht schützen müssen. Im Gegenteil: Lassen Sie den krippalen Infekt an sich heran! Stecken wir einander an mit der Freude über Weihnachten! Das ist wie Medizin, die unserem Leben und Glauben Beine macht. Wohlgemerkt: Auch diese Medizin hat Risiken und Nebenwirkungen. Doch fragen Sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker, fragen Sie Ihre Seelsorgerinnen und Seelsorger, Ihre Begleiterinnen und Partner, die Mitschwester, den Mitbruder, denen sie freundschaftlich und kollegial verbunden sind. Sie werden Ihnen bestätigen, dass Sie nach dem Genießen der festlichen Tage selbst wieder genießbarer werden – über die Weihnachtszeit hinaus.