In einem bescheidenen Hamburger Zimmer der frühen 1990er Jahre saß ein junger Mann gebeugt über einem Commodore 64, während das charakteristische Surren und Klicken der Diskettenlaufwerke die Stille durchbrach. Stundenlang wartete er geduldig darauf, dass Spiele geladen wurden, die manchmal gar nicht funktionierten. Was damals niemand ahnen konnte: Dieser junge Mann, Yasin Sebastian Qureshi, würde später Geschichte schreiben als jüngster Investmentbank-CEO Europas. Lange bevor der Begriff “Fintech” überhaupt existierte, programmierte Qureshi bereits primitive Algorithmen, die letztendlich die Finanzwelt revolutionieren sollten.
Von Spielekonsolen zu Finanzmärkten
“Wir hatten damals den Computer auf dem Tisch und warteten 30 Minuten, bis ein Spiel geladen wurde, und dann wurde es oft nicht einmal geladen”, erinnert sich Qureshi. Seine frühe Leidenschaft für Technologie manifestierte sich in endlosen Stunden vor dem Commodore 64, einem der ersten erschwinglichen Heimcomputer der 1980er Jahre. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters nutzte jede Gelegenheit, sein technisches Verständnis zu erweitern.
Es waren diese frühen Erfahrungen mit dem Commodore, die den Grundstein für Qureshis ungewöhnlichen Karriereweg legten. Besonders faszinierend waren für ihn die Computerzeitschriften jener Zeit: “Es gab diese Magazine, in denen man den Code abtippen und dann sein eigenes Spiel erstellen konnte. Wenn man einen Fehler machte, musste man zurückgehen und alles neu eingeben.” Diese mühsame Methode des Lernens, geprägt von Versuch, Irrtum und unermüdlicher Wiederholung, formte seine Herangehensweise an komplexe Probleme.
Qureshis später diagnostizierte ADHS erwies sich dabei nicht als Hindernis, sondern als Vorteil. “ADHS-Menschen wechseln vom Nicht-Fokus in den Hyperfokus”, erklärt er. Diese Fähigkeit, sich stundenlang in eine Aufgabe zu vertiefen, ohne Zeit oder Hunger wahrzunehmen, ermöglichte es ihm, komplexe Coding-Projekte durchzuführen, die anderen zu mühsam erschienen.
Yasin Sebastian Qureshi: Der entscheidende Wendepunkt
Der Weg vom Computerhobbyisten zum Finanzinnovator begann mit einer Kündigung. Als Student der Kunsthochschule Hamburg jobbte Qureshi bei einer Maklerfirma, die technische Analysen für Kapitalmärkte durchführte. Seine Beobachtung, dass viele Prozesse ineffizient und unnötig manuell abliefen, kam bei seinem Vorgesetzten nicht gut an. “Ihr macht das alles manuell, das ist kompletter Unsinn. Man kann das elektronisch machen, man muss nur die Daten eingeben”, erinnert sich Qureshi an seine Worte. “Bevor ich meinen kleinen Monolog beenden konnte, hatte mich der Chef schon rausgeworfen.”
Dieser Moment wurde zum Katalysator für Qureshis unternehmerische Reise. Statt sich entmutigen zu lassen, begann der damals 21-Jährige, seine eigenen Handelssysteme zu entwickeln. Mit dem grundlegenden Wissen, das er sich durch seine frühen Computererfahrungen angeeignet hatte, programmierte er einfache Software zur Analyse von Kapitalmärkten. “Das war der Anfang, wie ich in den Finanzhandel eingestiegen bin”, reflektiert er. “Als der damalige Nerd mit diesem frühen Commodore 64 und dem Spielen von Videospielen hatte ich einige Grundkenntnisse.”
Die Geburt des algorithmischen Handels
Was Qureshi in den frühen 1990er Jahren entwickelte, waren im Grunde die Vorläufer moderner algorithmischer Handelssysteme. Seine Programme analysierten historische Marktdaten und versuchten, zukünftige Muster vorherzusagen. Ein revolutionärer Ansatz in einer Zeit, in der der Handel noch größtenteils manuell oder über Telefon abgewickelt wurde. In einer Ära, in der Finanztermingeschäfte ein Volumen von nur etwa 10 Milliarden Dollar täglich hatten, im Vergleich zu den heutigen 6,6 Billionen Dollar im Devisenmarkt, erkannte Qureshi bereits das Potential der Automatisierung.
Mit bescheidenen Mitteln begann er, diese Handelssignale über das noch junge Internet zu verkaufen, zu einer Zeit, als weniger als 0,5% der Weltbevölkerung überhaupt Zugang zum Internet hatte. “Ich habe buchstäblich kleine Softwareprogramme erstellt, die versuchten, Kapitalmärkte zu analysieren. Und dann verkaufte ich diese Signale, diese Handelssignale, im Internet”, erklärt Qureshi. Was heute selbstverständlich klingt, war damals ein völlig neues Geschäftsmodell in einem Markt, der noch von Telefonanrufen und Faxgeräten dominiert wurde.
Seine frühen Algorithmen waren primitiv im Vergleich zu heutigen Standards. Sie liefen auf einem PC mit begrenzter Rechenleistung von etwa 1 MHz und nutzten einfache statistische Modelle, während moderne Hochfrequenz-Handelssysteme mit Teraflops arbeiten und Entscheidungen in Mikrosekunden treffen. Dennoch lagen sie ihrer Zeit weit voraus. “Heute würde man es als sehr frühe, grundlegende, primitive Anfänge des algorithmischen Handels und der KI bezeichnen”, beschreibt Qureshi seine damaligen Bemühungen. “Was damals mit den verfügbaren Mitteln möglich war, um aus historischen Mustern und Modellen vorherzusagen.”
Vom Algorithmus zur Bank
Der Erfolg seiner selbstentwickelten Handelssysteme wuchs, und bald expandierte Qureshi in den Derivatehandel. Doch dieser unkonventionelle Ansatz erregte die Aufmerksamkeit der deutschen Aufsichtsbehörden. In einer ironischen Wendung wurde dem Regelbrecher mitgeteilt, dass seine Tätigkeit einer Banklizenz bedürfe. Ein klassischer Fall, in dem die Regulierung der Innovation hinterherläuft.
Statt aufzugeben, stellte sich Qureshi der Herausforderung. Mit gerade einmal 29 Jahren wurde er 2002 der jüngste Mensch, der jemals in Deutschland eine Lizenz zum Betreiben einer Investmentbank erhielt. “Es war ein glücklicher Zufall, gepaart mit viel Beharrlichkeit und harter Arbeit”, erklärt er die Gründung der Varengold Bank, die er später an die Frankfurter Börse brachte. Ein bemerkenswerter Erfolg in einem Land, in dem traditionell nur etwa 5% der Banken von Gründern unter 40 Jahren geführt werden.
Der Weg dorthin war keineswegs einfach. “Wir haben Tag und Nacht gearbeitet. Es war eine kleine Gruppe von Freunden. Und alles Geld, das wir verdienten, haben wir für sehr, sehr lange Zeit reinvestiert, nur um diese Lizenz zu bekommen”, erinnert sich Qureshi. Seine Erfahrung zeigt einen Trend, der sich bis heute fortsetzt: Die Verschmelzung von Finanzwesen und Technologie führt unweigerlich zu regulatorischen Herausforderungen. Von der MiFID II bis zur PSD2-Richtlinie haben Fintech-Innovatoren stets mit einem regulatorischen Rahmen zu kämpfen, der ihrer Zeit hinterherhinkt.
Das Vermächtnis eines Pioniers
Qureshis frühe Experimente mit dem algorithmischen Handel legten den Grundstein für seine späteren Unternehmungen, darunter die NAGA Group, die er 2015 mitbegründete und in Rekordzeit an die Börse brachte. Während die durchschnittliche Zeit bis zum Börsengang in Europa etwa sieben Jahre beträgt, führte Qureshi NAGA in weniger als 24 Monaten zum IPO. Ein Tempo, das selbst in der schnelllebigen Fintech-Branche Aufsehen erregte.
Als Vision entwickelte er eine benutzerfreundliche “Social Trading”-Plattform, oft beschrieben als “Instagram für Online-Trading”, auf der Anleger handeln und in einer Community-getriebenen Umgebung Erkenntnisse austauschen konnten. Ein Konzept, das heute den Kern einer 10-Milliarden-Dollar-Industrie bildet und von Plattformen wie eToro und Robinhood adaptiert wurde.
Der Weg vom Commodore-64-Enthusiasten zum zweifachen Börsengang-Unternehmer veranschaulicht eine bemerkenswerte Transformation des Finanzhandels: Was 1995 mit selbstentwickelten Algorithmen für ein Nischenpublikum begann, ist heute ein globaler Markt, in dem über 70% aller Aktienhandelsvolumina an US-Börsen von Algorithmen ausgeführt werden. Heute findet der algorithmische Handel in Millisekunden statt, auf Servern mit tausendfacher Rechenleistung jenes frühen Heimcomputers. Die Grundprinzipien jedoch, die Automatisierung von Handelsentscheidungen auf Basis von Datenanalysen, sind dieselben, die Qureshi vor drei Jahrzehnten mit begrenzten Mitteln entwickelte.
“Jede Technologie erscheint magisch, wenn sie ausreichend fortgeschritten ist”, reflektiert Qureshi. “Was heute selbstverständlich ist, war damals revolutionär, nicht wegen der Technologie selbst, sondern wegen der Vision, die dahinterstand.”
Für heutige Fintech-Unternehmer birgt Qureshis Geschichte wertvolle Lektionen in einer Branche, in der jährlich über 30 Milliarden Euro an Risikokapital fließen: Innovation entsteht oft an unerwarteten Orten, mit begrenzten Ressourcen und gegen erheblichen Widerstand. Es ist nicht die Perfektion der ersten Version, die zählt, sondern die Vision und die Beharrlichkeit, mit der man sie verfolgt.
Der ehemalige Commodore-64-Nerd, der einst aus jedem Job geworfen wurde, weil er bestehende Prozesse infrage stellte, schuf letztendlich durch genau diese Eigenschaft ein bleibendes Erbe an der Schnittstelle von Technologie und Finanzen. Ein Erbe, das weit über die bescheidenen Anfänge eines summenden Diskettenlaufwerks in einem Hamburger Zimmer hinausgeht.

