In seinem weihnachtlichen Gruß fordert der Augsburger Bischof Bertram Meier die Menschen auf wieder mehr füreinander da zu sein. Die Vereinsamung vieler macht ihm Sorgen: “Wir brauchen eine Offensive des Vertrauens, der Zuwendung und der Zuneigung.”
Wissen Sie, was meine Krankheit ist? Nicht genug Liebe.“ Ausspruch einer Schauspielerin in einer Talk-Show am Abend. Sinngemäß das Gleiche las ich auf einer humoristischen Karte: „Der Arzt hat mir gesagt: Mir fehlt nichts. Nur du.“
Diese und ähnliche Äußerungen können wir immer wieder hören. Dass da was dran ist, erfahren wir am eigenen Leib. Gleichzeitig frage ich mich: Warum verschenken wir dann nicht mehr Liebe, mehr Wertschätzung, mehr Wohlwollen?
Oder andersherum: Es ist heute so viel die Rede von der Verbindung zwischen physischen und psychischen Krankheiten. Leib und Seele gehören eng zusammen. Deshalb wage ich die kühne Behauptung: Es wird zu wenig geliebt. Liebe bedeutet mehr als fliegende Herzen und Schmetterlinge im Bauch. Es geht um Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Beständigkeit. Wir brauchen eine Offensive des Vertrauens, der Zuwendung und der Zuneigung. Diese Offensive ist keine Einbahnstraße. Liebe sucht Erwiderung.
Manch einer, der darüber klagt, zu wenig geliebt zu werden, muss sich die Gegenrede gefallen lassen: Liebe ist wechselseitig. Vielleicht bist du es, der zu wenig liebt, der Liebe nicht mit Gegenliebe erwidert. Fang bei dir selbst an, beginne andere zu lieben. Vielleicht spürst du dann, dass du gar nicht allein und einsam bist, sondern umgeben von Menschen, die dir gewogen und zugeneigt sind. Sie warten auf ein Echo von dir.
Oft ist der Mensch die beste Medizin. An Sonn- und Feiertagen bleibt die Praxis des Arztes geschlossen. Es gibt nur einen Notfalldienst. Die Praxis des Lebens lädt uns ein, füreinander zur Medizin zu werden – jeden Tag neu.
In unserer Zeit scheint es unter uns Menschen immer kälter zu werden – trotz Erderwärmung. Doch Menschen sind keine Kühlschränke, sondern Heizkörper, die einander wärmen. Ich wünsche Ihnen festliche Tage, an denen sie spüren dürfen, dass die Gemeinschaft mit lieben Menschen heilsam sein kann.
Wenn wir das ernst nehmen, können wir tiefer verstehen, was wir an Weihnachten feiern. Der 1. Johannesbrief erklärt es uns: „Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe. (…) Darin besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn (…) gesandt hat. Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben. Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet.“ (1 Joh 4,7-8.10-12)
Ein frohes und friedvolles Weihnachtsfest wünscht von Herzen
Ihr
+ Bertram
Dr. Bertram Meier,
Bischof von Augsburg


